Was bringt Demut dem Unternehmen II
Im letzten Beitrag haben wir gesehen, dass Demut im Unternehmen zu einer besseren Kultur der Kooperation führt sowie zu einem besseren und offeneren Umgang mit Fehlern. Heute geht es um den Impact von demutsvollen CEOs auf die Performance und den Erfolg ambidextrer Strategien.
Auf Dauer bessere Bewertungen von Analysten
Dazu will ich zwei interessante Studien erwähnen. Die erste, aus dem Jahr 2019, schaut sich an, was professionelle Anleger tun. Ziel war herauszufinden, ob sich Anleger in irgendeiner Form von dem CEOs beeinflussen lassen. Ob sie ein Unternehmen als besser oder schlechter einschätzten, allein aufgrund des Vorstandsvorsitzenden.
Als Basis nahmen die Forscher den Standard & Poor’s 500. Das ist ein amerikanischer Aktienindex, der die Aktien von 500 der größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst.
Für jedes Unternehmen recherchierten sie, ob es Videomaterial von den Vorstandsvorsitzenden gab. Fanden sie solches, wurden zum jeweiligen Unternehmen alle Zahlen zur Unternehmensperformance gesammelt. Das ergab von der Grundgesamtheit 500 immerhin 122 CEOs mit Unternehmenszahlen für insgesamt beindruckende 881 Jahre Unternehmensfinanzgeschichte.
Nächster Schritt: Die Videos der CEOs wurden anonymisiert und eigens geschulte externe Beobachter sahen sich die Videos an und ordneten die CEOs auf einer Demutsskala ein.
Zugleich analysierten die Forscher die öffentlich gemachten Erwartungen der Analysten an das Unternehmen, die nachfolgenden, veröffentlichten Ergebnisse der Unternehmen und natürlich die gesamte Performance des Unternehmens am Aktienmarkt.
Und was sie sahen, war zutiefst menschlich! Die Analysten hatten an Unternehmen, die von „demutsvollen“ CEOs geführt werden, geringere Erwartungen. Das muss ich noch mal wiederholen. Je demutsvoller der CEO, desto weniger versprachen sich die Analysten. Sie schienen wie folgt zu denken: „Dieser CEO ist so ruhig, der lobt dauernd sein Team, der spricht kaum von sich, der gibt Fehler zu: Das wird wohl nichts.“
Nun, was passierte dann aber in den kommenden Monaten nach der veröffentlichten Erwartung? Da war das Unternehmen von demutsvollen CEOs dann immer besser als die Prognose. Und die Analysten sahen das als Wunder und gaben nun einen erheblichen Bewertungsbonus.
Noch einmal kurz zum Durchdenken: Die Analysten unterschätzen also zuerst die demutsvollen CEOs und geben dann einen erheblichen Bonus, wenn sich ihre Unterschätzung als unwahr herausstellte. Sie lernen auch nicht, diesen Erwartungsabschlag in den Folgejahren zu korrigieren! Wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ reagierte das Analystengehirn automatisch weniger auf CEOs, die nicht vor Ego strotzen, schraubte bei ihnen regelmäßig die Erwartungen runter, um überrascht festzustellen: „Die sind ja toll“, was sie selbst und der gesamte Markt in Konsequenz honorieren.
So zeigt der professionelle Analyst, dass wir als Menschen – fast noch tierisch – oft mehr beeindruckt sind, wenn uns ein brustklopfender Narzisst gegenübersteht, statt ein abwägender Weiser, der sein Team in den Vordergrund stellt und Fehler und Nichtwissen zugibt.
Das ist gut zu wissen, hat aber auf Dauer, wie wir gesehen haben, keinen Nachteil – denn die Unternehmen haben ja zu guter Letzt einen Bonus bekommen, weil sie immer outperformt haben. Das ist doch ein angenehmer Ruf zu haben: Man erwartet zwar etwas von Ihnen, aber nicht zu viel, so dass Sie immer besser abschneiden als gedacht.
Bessere ambidextre Strategien
Die zweite Forschung ist von Forscherin Amy Ou aus dem Jahr 2015. Da untersuchte sie 105 Computerfirmen in den USA. Demutsvolle CEOs zeichneten sich dadurch aus, dass es ihnen eher gelang, sogenannte ambidextre Strategien zu fahren. Das heißt, sowohl das bestehende Geschäft weiter gut zu betreiben als auch in Neues zu investieren – sprich, sich dem Wandel zu stellen und bereits an neue Märkte zu denken.
Wenn man kurz innehält, sieht man, was das für eine Leistung ist. Das heißt nämlich, dass jemand mit einem Bein in der Zukunft und mit dem anderen im Jetzt stehen muss. Das funktioniert dann, wenn der oder die CEO das eigene Top Team so an Bord bringt, dass es sich auch so eine holistische Sichtweise zu eigen macht. Schafft es der CEO nicht, das Top Management Team so zu führen, dass es das größere Ganze sieht, ergeben sich oft Streitereien zwischen den alten und neuen Geschäftsmodellen. Furcht vor Kannibalisierung führt zu geringerer Bereitschaft, in Neues zu investieren. Passiert das doch, so fühlen sich die Segmente, die für das Neue zuständig sind, leicht den alten gegenüber überlegen.
Ein Interviewpartner schilderte genau solch eine Situation und den Unfrieden, den das stiftete. Ein zukunftsweisender Bereich im Unternehmen bekam vom nicht demutsvollen CEO absolute Narrenfreiheit. Der CEO dieses Bereiches durfte seine Kollegen schlecht machen, sich auf deren Kosten als innovativ und erfolgreich hinstellen und wurde gar noch von dem CEO gedeckt.
Wer würde dann so einem neuen Geschäftsfeld unterstützend zur Seite stehen wollen? Nicht überraschend ist es dann auch gescheitert.
Amy Ou fand daher - nicht überraschend - , dass demutvolle CEOs ihr Top Team besser führten, mehr ambidextre Strategien umsetzen konnten und insgesamt daher als Unternehmen besser performten.
In einem Interview Ende 2020 teilte sie auch eine neue Forschung mit mir, die gerade im Veröffentlichungsprozess ist. In dieser konnte sie nachweisen, dass die Demut von CEOs in US-Unternehmen tatsächlich auch einen messbar positiven Effekt auf die Kapitalrendite hat.
Das wird auf jeden Fall wieder die Investoren freuen und sie auf Dauer vielleicht sogar dahingehend erleuchten, dass demutsvolle CEOs keinen Bewertungsabschlag einsammeln müssen.
Das Beispiel eines demutsvollen CEOs
Nun mögen Sie fragen, ob es denn einen demutsvollen CEO gibt, den man sich mal genauer anschauen könnte. Denn ein bisschen mysteriös klingt es ja doch immer, wie solch einer aussehen kann. Nun denn – voilà!
In meinem Buch (und noch mal viel mehr in der Neuauflage, die im Winter kommt) durfte ich den früheren CEO von Prudential Asia zitieren. Ich lernte Wilf Blackburn 2019 bei einem Vortrag vor Führungskräften an einer Businessschool kennen. Er stand vor den Executives und erzählte, dass gerade jetzt, wo er vor uns stünde, seine Leute eine Strategieretreat abhalten würden.
Das hätten sie im letzten Jahr auch schon ohne ihn gemacht. Damals hätten sie ihn dazubitten können, wie dieses Mal natürlich auch. Aber sie schienen ihn ja nicht zu brauchen. Das heißt, das Ego von Wilf Blackburn hat ausgehalten, dass er bei dem Retreat nicht dabei war, dass er wartete, bis die Vorschläge und Analysen zu ihm kamen und er erst dann Teil des Entscheidungsprozesses wurde. Das ist eine demutsvolle und kluge Herangehensweise. Jeder weiß, wie sehr ein Chef im Raum die Diskussion beeinflusst. Allein durchs Dabeisein. Einige werden in vorauseilendem Gehorsam in Richtungen denken, in die sie meinen, dass der CEO das gerne hätte. Andere werden vielleicht auf Widerspruch gebürstet sein, eben weil der CEO da ist.
Das heißt natürlich nicht, dass Blackburn seine Aufgabe als CEO vernachlässigt. Natürlich setzt er sich nach dem Retreat mit seinen Leuten zusammen, um dann die Strategie formal zu auszuarbeiten, aber er ließ im Ideenfindungsprozess alle Freiheiten.
Wenn man Blackburn begegnet, dann wirkt er auch in keiner Weise schwach, sondern klar, stark und demutsvoll zugleich. Noch eine Anekdote von ihm: Sein Ziel war es, das Unternehmen agil aufzustellen. Da waren alte Hierarchien und Statussymbole hinderlich. Also setzte er sich selbst ins Open Office zu den Vertriebsleuten, bis weitere Open Spaces fertig gestellt waren. Dann besprach er mit seinen Führungskräften, dass alle in solche Open Spaces gehen sollten. Das war ein ziemlicher Statusschock. Um die Diskussion voranzubringen sagte er: Jeder, der weiterhin ein Büro braucht, soll sich bitte melden. Eine Handvoll meldete sich. Blackburn sagte: Danke sehr – ich werde jedem von Ihnen helfen, einen neuen Job zu finden. Und das tat er dann auch durch Aktivitäten in seinem großen Netzwerk. Jeder derjenigen, die ihre Hand gehoben hatte, hatten nach einiger Zeit einen neuen Job in einem anderen Unternehmen.
Für manche mag das nicht demutsvoll klingen – wenn man aber an das größere Ganze denkt, und an die Erkenntnis von Jim Collins: „Get the wrong people off the bus and the right people on the bus“ da sieht man, dass die Aktion von Blackburn nichts mit Ego oder Arroganz zu tun hat, sondern in der Tat mit Demut.
Wie auch sein schöner Satz das zeigt: „Ich war einmal in Disney World in Paris und sah jemanden, der ein Minnie-Maus-Kostüm trug. So wie diese Person im Minnie-Maus-Kostüm ihr Selbstwertgefühl nicht aus dem Kostüm beziehen sollte, so sollte ich mein Selbstwertgefühl nicht aus dem CEO-Kostüm beziehen.“
Wenn man das hört, wundert einen weder, dass sein früherer Unternehmen schon unter seiner Ägide gut im Markt steht, noch dass die Forschung eben genau das zeigt:dass demutsvolle CEOs einen messbar positiven Effekt auf ihr Unternehmen haben.
Ich wünsche Ihnen einen demutsvollen Unternehmenschef oder Chefin und wenn Sie das nicht haben, auf jeden Fall die Stärke selbst für Ihre Mitarbeiter solch einen Menschen zu verkörpern.