Ist Achtsamkeit für Führungskräfte eine reine Modeerscheinung? – Teil 6 der Blogserie: Einflussnehmen auf sich und andere

Achtsamkeit – ein Wort, das gerade überall anzutreffen ist. Ob in Büchern, Fachartikeln, in Dokumentationen oder Interviews. Zwar ist das Wort nicht mehr mit Esoterik und Räucherstäbchen besetzt, aber viele Führungskräfte fragen sich doch, was das Ganze soll. So wird Achtsamkeit zumeist mit Stress in Verbindung gebracht und den hat man als gute Führungskraft doch wirklich im Griff. Außerdem wissen wir heute zur Genüge, dass es auch den guten Stress gibt, den unser Gehirn zu brauchen scheint, um überhaupt aktiv zu werden.

Wozu dann noch dieses Achtsamskeitsgedöns? Was denken Sie?

Die Antwort liegt im Zentrum unseres Agierens – im Gehirn. Unser Gehirn ist wunderbar effizient. Es automatisiert so viele Prozesse wie möglich. Der berühmte US-amerikanische Psychologe William James (1842–1910) resümierte schon vor allen FMRI-Scans: „Das menschliche Verhalten ist flexibler intelligent als dasjenige anderer Tiere, weil wir mehr Instinkte haben als sie, nicht weniger.“1 Die Neurowissenschaften haben das bestätigt – sobald wir etwas gelernt haben, wird es automatisiert und oft an andere Stellen im Gehirn gepackt. Deshalb setzen erfahrene Golfer auch andere Gehirnregionen ein als grasschlagende Neulinge.2 Genauer: Die Neuankömmlinge agieren stark mit den limbischen und planerischen Regionen, während die Experten mehr Energie in die Regionen stecken, die das Wahrgenommene automatisch in kraftvolles Handeln umsetzen (visuomotorische Transformation).

Wir sind geprägt von Automatismen

Zurück zu uns im Alltag: Haben wir als Menschen einmal Reaktionsmuster verinnerlicht, so kommen sie eben automatisch. Soll heißen: Der Mitarbeiter fragt zum dritten Mal an – und schon werde ich streng. Die Mitarbeiterin hat mein Dokument falsch formatiert – und schon werde ich laut. Der Aufsichtsrat bemängelt die Zahlen – und schon bin ich genervt.

Stunden später mag ich mir dann manchmal sagen, dass ich Sachen vielleicht nicht so gut erkläre und der Mitarbeiter deshalb nachfragen musste; dass die Mitarbeiterin erst seit zwei Wochen da ist und ich anscheinend die Übergabe durch die Kollegin bezüglich meiner Wünsche nicht gut organisiert hatte; und dass ich unterlassen hatte, den Aufsichtsrat in Einzelgesprächen auf die schlechteren Zahlen vorzubereiten. Was habe ich aber stattdessen im Moment gemacht? Streng geschaut, angeschnauzt und genervt reagiert. Nicht gerade ideal für eine kompetent sein wollende Führungskraft.

Und jetzt kommt es: Achtsamkeit ist nichts anderes, als das Gehirn so zu trainieren, dass es seine Automatismen erkennt, bevor wir ihnen zum Opfer fallen. Denn sobald ich sie erkenne, habe ich die Wahl: Streng anschauen oder nicht. Anschnauzen oder nicht. Es mag ja manchmal richtig sein, eine klare Ansage zu machen ggf. mit allen Konsequenzen – aber ich sollte das bewusst tun. (Wobei: Mit dem Aufsichtsrat genervt zu sein hilft wahrscheinlich nie…)

Wichtig ist also, dass wir durch die Achtsamkeit Souveränität über unsere standardisierten Reaktionen zurückbekommen. Unser effizientes Grundsystem kann ja für viele Dinge gerne bestehen bleiben: So will ich nicht jeden Schritt, jede Gangschaltung oder jedes Tippen wahrnehmen müssen – aber die Möglichkeit zu haben BEWUSST zu agieren, ist elementar für jede Führungskraft.

Üben, üben und nochmals üben

Wie schafft Achtsamkeit das? Durch Übung, schnöde Übung. Lerne ich, mich regelmäßig auf meinen Atem zu konzentrieren, oder meine Aufmerksamkeit weit zu stellen, für alles, was da ist, dann werden diejenigen Regionen im Gehirn stärker, die für bewusstes Entscheiden zuständig sind. Der präfrontale Kortex, der für die sogenannten Executive Functions so wichtig ist, wird gegenüber der Amygdala gestärkt – einem alten Teil unseres Gehirnes, der noch stärker als andere Regionen mit Emotionen und folglich Reaktivitäten beschäftigt ist. Die Folgen dieses regelmäßigen Trainings sind erhöhte Kontrolle der Aufmerksamkeit, bessere Regulation von Emotionen und eben mehr Bewusstsein für das, was sich gerade in einem abspielt.3

Nun sieht man also, dass Achtsamkeit kein Trend sein kann, sondern ein sine qua non. Nur wenn Sie wahrnehmen, was Sie automatisch tun wollen, können Sie etwas dagegen tun und wirklich bewusst entscheiden.

Was können Sie nun tun? Zum einen, sich das Thema Achtsamkeit noch einmal wertfrei ansehen. Zum anderen aber auch den wunderbaren Film „Alles eine Frage der Zeit“ sehen, in dem Sie jemanden dabei beobachten können, wie er sich bewusster wird. Oder das Buch „Search Inside Yourself“ lesen, das erklärt, warum bei Google fast jeder meditiert.

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1James, W. (1890). The principles of psychology New York. Holt and company.

2Milton, J., Solodkin, A., Hluštík, P., Small, S. L. (2007). The mind of expert motor performance is cool and focused. Neuroimage, 35(2), 804-813.

3Tang, Y. Y., Hölzel, B. K., & Posner, M. I. (2015). The neuroscience of mindfulness meditation. Nature Reviews Neuroscience, 16(4), 213-225.